Ein Denkanstoß – kein Rezept 

Es vergeht kein Tag, an dem einem nicht -zig Artikel, Beiträge oder Fachbücher zu den Themen Change, dessen unbedingte Notwendigkeit, dem dafür perfekten Management und der Erfolg versprechenden Organisation begegnen. Rezepte, Modelle oder Best Practices sind an der Tagesordnung. Der Eindruck entsteht, dass man sich nur genau an diese Ratgeber zu halten braucht, um mit der Veränderungsnotwendigkeit erfolgreich umgehen zu können. 

Studien jedoch ergeben, dass bis zu zwei Drittel der geplanten Änderungsprozesse in Organisationen abgebrochen werden, scheitern oder nicht das gewünschte Ergebnis erreichen. Das gibt Anlass, darüber nachzudenken, warum ein so großer Teil dieser Bestrebungen nicht funktionieren. Wissen scheint es darüber ja angesichts der Fülle an Literatur und Anleitungen genug zu geben. Oder ist diese vielleicht nutzlos? 

Und was ist mit dem erfolgreichen Drittel? Was wird in diesen gelingenden Prozessen anders gemacht? Vielleicht sind dies ja gar keine Prozesse, sondern Projekte, die nicht durchgeplant und -gesteuert wurden? Und eine weitere Frage muss auch erlaubt sein: Werden gute Ergebnisse wegen oder trotz Change Management Modellen und den dazu gehörenden Konzepten und Toolkits erreicht? 

Warum eigentlich Change 

Die Frage, ob ein Change überhaupt nötig ist oder nicht, sollte immer zuerst gestellt werden. Warum sollte denn etwas verändert werden, wenn alles super läuft, die Produktion ertragreich funktioniert, die Kunden zufrieden sind und der Wettbewerb einem das Leben nicht schwer macht? Veränderungen prophylaktisch anzuschieben, weil angenommen wird, dass sich die Marktbedingungen in Zukunft verändern werden, ist gefährlich. Denn das Risiko, damit eine aktuell sicher laufende Wertschöpfung gegen eine auf Prognosen aufgebaute Organisationsstruktur auszutauschen, die in der Praxis nicht funktioniert, ist in der heutigen sehr komplexen und dynamischen Gesellschaft ziemlich hoch. Denn in der VUCA-Welt der Gegenwart und Zukunft gilt mehr denn je, was in dem witzigen, aber durchaus wahren Bonmot angesprochen wird: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ 

Change-Projekte werden oft angeschoben, „weil es ja andere auch machen“. Sie sind aber nur sinnvoll, wenn es ein echtes Problem gibt, denn sonst laufen sie ins Leere. Wenn die Veränderung nicht an die Wertschöpfung und die Wirksamkeit des Unternehmens und seiner Teams am Markt gekoppelt wird, gerät Change zum Selbstzweck und wird zu Businesstheater. Im besten Falle bewirkt das dann nichts, die Wahrscheinlichkeit ist aber extrem groß, dass es gefährlichen Zynismus fördert und damit zu einem eigenen echten Problem wird. Auf jeden Fall hält es die Mitarbeitenden von der echten Arbeit ab. 

Wertschöpfung ist der Fokus 

Wenn es nun ein echtes Problem gibt, das die Performance des Unternehmens beeinträchtigt, kann dem nachhaltig nur begegnet werden, wenn nicht die Symptome, sondern die Wurzeln der dysfunktionalen Phänomene ins Visier genommen werden. Wenn z.B. Projekte bei gleichbleibenden oder sogar verbesserten Marktbedingungen, unverändertem Ressourceneinsatz und identischen weiteren Grundlagen scheitern oder schlecht laufen, könnte es daran liegen, dass die Teammitglieder sich nicht mehr vertrauen und meinen, sich nicht mehr auf die Arbeit des jeweiligen anderen verlassen zu können. Dann hilft es keineswegs, an die Vernunft zu appellieren und ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten einzufordern.  Werteentwicklungsprogramme und entsprechende Workshops oder Schulungsmaßnahmen bleiben wirkungslos und verursachen damit durch ihre Kosten finanziellen Schaden, nehmen unnötig Zeit in Anspruch und fordern die Aufmerksamkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dann für die Wirksamkeit beim Kunden nicht zur Verfügung steht. 

Die Suche nach der Ursache für das Misstrauen unter den Teammitgliedern ist der richtige Weg, das Problem anzugehen: Was ist der Auslöser des unerwünschten Verhaltens, warum hat sich dieses in der Kultur des Teams etabliert und welche Faktoren bewirken die Aufrechterhaltung dieses Kulturmusters? 

Unterscheidung von Dynamik und Kausalität 

Zunächst ist es hilfreich, eine Unterscheidung zweier Problemtypen vorzunehmen, die unterschiedliche Ausprägungen von Wertschöpfung in heutigen Unternehmen hervorbringen, um ein besseres Verständnis dafür zu gewinnen, worauf ein Change-Ansatz eigentlich abzielen kann. 

Auf der einen Seite gibt es die kausalen Probleme, deren Lösung wissensbasiert ist und mit Regeln, Methoden, Daten, Plänen und Zielen bearbeitet werden kann. Hierunter fällt alles, was immer wiederkehrend abläuft, also immer genau das gleiche Produkt, identische Dienstleistung oder auch Service-Bereiche, wie Buchhaltung oder die meisten Teile von Verwaltung. Kreativität ist hierfür nicht mehr nötig, die genaue Befolgung von Betriebsanleitungen oder Prozessanweisungen reicht völlig aus. 

Die andere Seite entsteht durch Dynamik, und zwar die des Marktes. Die Ideen der Konkurrenz lassen bei Kunden volatile Anforderungen entstehen und diese ziehen wiederum die Notwendigkeit kreativer Lösungsansätze im eigenen Unternehmen nach sich. Hier nützen die Instrumente des kausalen Teils nichts, Steuerungsbemühungen geraten zur Illusion, Regeln sind zu starr und Pläne werden zu Makulatur, weil die Ergebnisse nicht vorhersehbar sind. Führung auf der Basis von Strategien und Prinzipien ist hier notwendig, mit Werkzeugen, die von Talenten und Könnern zur Wirkung gebracht werden. Nicht Prozesse sind dabei die Basis, sondern Projekte, in denen Optionen identifiziert, geprüft, verworfen oder weiterverfolgt werden, bis eine werthaltige Lösung erreicht ist. 

Change und Management  

Während der kausale Bereich eine Verhaltenskultur, also das strikte Befolgen von Regeln und Einhalten von Prozessanweisungen braucht, benötigt der dynamische Teil der Wertschöpfung das Agieren auf der Basis einer Wertekultur, das eigenständiges Denken und vernünftiges Handeln erfordert, wenn Probleme als Überraschungen auftauchen, für deren Lösung es noch kein etabliertes Wissen im Unternehmen gibt. Die Werte sind hier also die prinzipiellen Leitplanken, innerhalb derer die Teams, die ihr Wissen durch Könnerschaft ergänzen, in Projekten mit dynamischer Marktumgebung vorgehen. 

Change Management zielt, wie alle Managementaktivitäten, auf das Verhalten der Mitarbeiter im Regelbetrieb, also der kausalen Seite der Wertschöpfung. Die Werte bleiben jedoch unverändert und diese Diskrepanz zeigt sich in Situationen mit hoher Dynamik in der Wertschöpfung, in denen Teams schnell eigene Entscheidungen treffen müssen und jenseits von Steuerung agieren. Hier wird das Verhalten, das für die regelbasierte Arbeit eingeübt wurde, meist beiseite geschoben und nach dem Motto: „Egal – wir machen das jetzt mal ganz unkonventionell…“ agiert. Das ist dann auch der Grund, warum Change Management in den meisten Unternehmen ein revolvierendes Phänomen darstellt. 

Zuviel Beschäftigung – zu wenig wertschöpfende Arbeit 

Oft hilft es schon allein, im besten Falle überflüssige, sehr oft jedoch störende oder sogar destruktive Praktiken einfach wegzulassen. Das wird in den meisten Fällen dazu führen, dass die Zufriedenheit mit der Tätigkeit steigt und sich ein Teamgeist entwickelt, der sich auf die Wirksamkeit im Markt, beim Kunden richtet und die internen Referenzen, die tendenziell eine Beschäftigung der Organisation und der Teams mit sich selbst hervorrufen, reduziert. Es geht einerseits um die Aufgaben der Mitarbeitenden, die sie nur beschäftigen und von der eigentlichen Arbeit an der Wertschöpfung abhalten und darüber hinaus, um organisatorische Bedingungen, die Fehlallokationen erzeugen, demotivieren oder einfach nur das eigene Denken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter blockieren. Da tut sich ein weites Feld auf, das viele Facetten und Nuancen zeigt – einerseits Gewohnheiten, bei denen bereits jedem klar ist, dass sie lediglich reine Zeitfresser sind, über Rituale, die sich fest in der Kultur etabliert haben, dass die berühmte Betriebsblindheit dazu führt, dass sie nicht bemerkt werden, bis hin zu Glaubenssätzen, die den Status von Wahrheit haben, bei genauerer Betrachtung jedoch sehr schädliche Auswirkungen haben. Um nur ein paar Beispiele in der Reihenfolge überflüssig zu destruktiv zu nennen: Reportings, Jour fixes, Jobtitel, Reiserichtlinien, Chefparkplätze, Mitarbeiterbefragungen, KPIs, individuell-leistungsabhängige Boni und viele mehr. Warum diese Praktiken schädlich oder unnütz sind -was zugegebenermaßen teilweise kontraintuitiv erscheint, da es unseren erlernten Gewissheiten widerspricht, werde ich später in einem weiteren Artikel thematisieren. 

Werte beeinflussen Verhalten, aber nicht umgekehrt 

Alles, was in Unternehmen mit Regeln, Prozessen, Zielen und anderen Managementinstrumenten gesteuert wird, wirkt sich unmittelbar auf das Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, hat jedoch keinen direkten Einfluss auf deren Wertekosmos. Werte sind wichtige Entscheidungsprämissen, sie sind jedoch, da sie auf Gefühlen beruhen, selbst nicht entscheidbar, sondern entwickeln sich aus dem Kontext der sozialen Umwelt bei jedem einzelnen Menschen individuell. 

Und so sollte man alle Change-Ansätze meiden, die direkt auf Werte der Menschen im Unternehmen abzielen und versuchen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen „umzuerziehen“. Vielmehr ist es notwendig, organisatorische Bedingungen zu schaffen, die gewünschte Wertvorstellungen möglichst nach sich ziehen. Also gilt es, bei Veränderungen den Fokus auf die Organisation zu richten und nicht personenfixiert vorzugehen. Die Identifikation und Beseitigung von Hindernissen für eine performante Wertschöpfung in der Organisation bringt gemeinsamen Erfolg in den Teams und gibt den Mitarbeitenden das Gefühl von Stolz auf die wirksame Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Und bringt den Menschen somit die Möglichkeit Sinn in ihrer Arbeit zu empfinden.  Als Folge davon stellt sich eine Kultur der Zusammenarbeit ein, die bei den Mitarbeitenden als anschlussfähig für die Bewältigung der Probleme anerkannt wird. Kultur ist also Folge der Verhältnisse im Unternehmen, dessen Erfolg und Prozesse und nicht -wie oft angenommen- Grundlage dafür. Darum macht es auch keinen Sinn, die Unternehmenskultur verändern zu wollen – es sind die Bedingungen im System, die Ziel von Change-Projekten sein müssen.  

Ralf Haase Personalberatung

Wir haben uns mit der Gründung der Ralf Haase Personalberatung einem ganzheitlichen Ansatz verschrieben. Unser Motto „Unternehmenskultur ist unsere Leidenschaft“ begleitet uns seit dem und wird aktiv gelebt. 

In den Themen dieses Blogs beleuchten wir der nächsten Monaten solche Themen, wie das Verständnis von Arbeit in verschiedenen Generationen, Wissen demokratisieren und das Unternehmen fit halten. Wir erläutern Zusammenhänge und teilen unser Wissen mit. Wir gehen auch auf die Spezifika dieser Themenfelder in der Bau- und Immobilienwirtschaft ein. Ralf Haase wird in seinen Essays immer wieder neue Akzente über den Möglichkeitsraum und die Ausgestaltungsformen der Arbeit von morgen setzen. 

Wir stellen Ihnen die Quellen unserer Inspiration vor, seien es Tipps für Websites, Bücher und Artikel oder Veranstaltungen. 

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Ralf Haase
Unternehmenskultur ist meine Leidenschaft – Organisationsdesign meine Passion.
rh@rhp.berlin