Wie erfolgreiche Teams in komplexer Wertschöpfung dynamischer Märkte arbeiten

Eine andere Systematik der Zusammenarbeit ist nötig

– Eine Einführung

Frederic Taylor hatte eine geniale Idee: Er erfand das Scientific Management und legte damit den Grundstein für eine rasante Entwicklung der Produktivität der Wertschöpfung im Industriezeitalter. Grundprinzip dieser auch Taylorismus genannten Systematik ist die Trennung des Denkens vom Arbeiten. Die Produktion wird in kleine, bereits vorgedachte, und durchgeplante Abschnitte gegliedert, die es ermöglichen, immer gleiche Arbeitsschritte mit höchster Effizienz auszuführen. Wenn alle Mitwirkenden dem Plan exakt folgen (Dienst nach Vorschrift), kommt mit hoher Stückzahl genau das gewünschte Produkt in immer gleichbleibender Qualität heraus.

Komplexe Märkte vs. träge Märkte

In den vergangenen zwei Jahrhunderten funktionierte der Taylorismus ganz hervorragend und bot die Möglichkeit, die sehr aufnahmefähigen Märkte der sich immer weiter globalisierenden Welt des 19. und 20. Jahrhunderts mit preiswerten Massenprodukten zu versorgen.

Diese Form der Wertschöpfung ist kausal und lässt Unternehmen funktionieren, wie Maschinen. Auch heute noch beruht ein großer Teil der weltweiten Produktion auf dieser Grundlage, die BWL beschreibt sie wissenschaftlich und Matrix-Organisationen sind die perfekt dazu passenden Unternehmensstrukturen.

Unternehmen gewinnen ihre Existenzberechtigung daraus, dass sie Problemlösungen am Markt leisten, die dem Kunden etwas wert sind. Nun kann man beobachten, dass die Probleme, die in den gesättigten Märkten unserer Tage von den Unternehmen für ihre Kunden zu lösen sind, immer komplexer werden, mit häufigen Überraschungen verbunden sind und zunehmend individueller werden. Von Gerhard Wohland stammt dafür die Unterscheidung zwischen blauer Wertschöpfung der Norm und roter Wertschöpfung der Ausnahme, die hier im Folgenden verwendet wird.

Ambidextrie: Heute und in Zukunft ist eine andere Systematik der Zusammenarbeit notwendig, als im vergangenen Jahrhundert

Tayloristische Strukturen der Zusammenarbeit sind exzellente Fundamente für die blaue Wertschöpfung und für den roten Teil der Wertschöpfung nicht geeignet. Die Betriebswirtschaftslehre als ihre wissenschaftliche Basis ist „blind“ für kontingente Problemlösungen der Ausnahme, die in dynamischen Märkten immer zahlreicher werden. Die Steuerung, die Matrixorganisationen in trägen Märkten so reibungslos und hocheffizient funktionieren lässt, wird zunehmend zur Illusion, weil die Produkte eben nicht mehr vorgedacht und exakt durchgeplant werden können. Niemand kennt im Voraus das exakte Endergebnis der Problemlösung, des Produktes oder der Dienstleistung und so wird der einst höchste Anspruch an die Qualität der Arbeit „Dienst nach Vorschrift“ zur Farce.

Dieser epochale Umbruch, den die Wertschöpfung und damit ebenso die Arbeitswelt im Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft erleben, findet Ausdruck im Begriff „VUCA-Welt“. Dieses Akronym beinhaltet die englischen Begriffe der Bedeutungen V-volatil, U-unsicher, C-Komplex und A-mehrdeutig. Diese Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfordern dynamik-robuste Zusammenarbeitsorganisationen, die neben klassischer Steuerung zunehmend den Umgang mit Überraschungen und Ausnahmen ermöglichen, sowie Innovationen durch Co-Kreativität jenseits von formalen Hierarchien zulassen.

Traditionelle Unternehmen, die bereits viele Jahre oder Jahrzehnte bestehen, kommen aus der tayloristisch organisierten Wirtschaftsweise und können nur überleben, wenn sie sich auf die kontingent-komplexe (rote) Wertschöpfung einstellen und Strukturen schaffen, die beide Welten zulassen: Exploration der blauen Wertschöpfung der Norm sowie Exploration der roten Wertschöpfung der Innovation (Ausnahme). Erstere ist nur erfolgreich im Wettbewerb, wenn hohe Kosteneffizienz, Fehlervermeidung und Ressourcenschonung herrschen, die andere erfordert Redundanzen und die Möglichkeit, iterativ Problemlösungen zu erreichen. Diese Parallelität der Wirtschaftsweise in Organisationen wird Ambidextrie (wörtlich „beide rechts“) genannt.

Steuerung in der blauen Wertschöpfung der Norm – Führung in der Wertschöpfung der Ausnahme

Ambidextrie zu ermöglichen, ist keine triviale Aufgabe. Denn die beiden Teile der Wertschöpfung neigen dazu, sich gegenseitig zu „stören“, wenn sie nicht durch das entsprechende Organisationsdesign daran gehindert werden.

Kleine oder noch sehr junge Unternehmen haben von Natur aus eine starke Affinität zur roten Wertschöpfung, denn hier arbeitet meist das ganze Team gemeinsam an den Aufgaben, die die noch wenigen Kunden erteilen, es gibt keine Schnittstellenprobleme zwischen den (noch) nicht vorhandenen funktionalen Abteilungen (die ja der tayloristischen Logik folgend aufgebaut werden) und formale Hierarchien sind auch noch nicht stark ausgebaut. Die Wertschöpfung wird voll und ganz an der externen Referenz „Kunde“ ausgerichtet.

In klassischen Matrixorganisationen mit einer Aufteilung der Wertschöpfung im Sinne der Synergien und Effizienzgewinne nach Funktionen, sind bei den meisten Mitarbeitenden nicht die externen Referenzen „Kunde“ oder „Markt“ Ziel der eigenen Anstrengungen, sondern unterschiedliche Ziele der Abteilungen, die in internen Referenzen, wie KPIs, Boni, Chefentscheidungen oder Regelhandbücher Ausdruck finden und eine zentrale Koordination und Steuerung erfordern.

Komplexe und überraschende Kundenanforderungen können in der Regel nur abteilungsübergreifend gelöst werden und das gelingt in solchen Strukturen nur mit einem extrem aufwändigen und langwierigen Abstimmungs- und Entscheidungsprozess, der nicht zur Dynamik des Marktes passt. Außerdem stehen die unterschiedlichen Ziele der Abteilungen oft einer sinnvollen Lösung im Sinne des Kunden im Weg.

Hier gelingt Innovation entweder nur auf der informellen Kommunikationsebene, der „Hinterbühne“ des Unternehmens, die sich den formalen Regeln und Entscheidungswegen entzieht, oder in formal legitimierten Projekten, bei denen die normalerweise geltenden Vorschriften und Prozessanweisungen dauerhaft ausgesetzt werden und das auch eine mit entsprechend wirksamer formaler Macht ausgestattete Führungskraft absichert.

Wertschöpfung in hoher Dynamik gelingt nur durch die Lösung echter Probleme mit echten Teams

Das Ziel dabei ist es, ein echtes Projekt zuzulassen, bei dem der Ausgang unbekannt, nicht vorbestimmt ist. Der Begriff „Projektmanagement“ kann dabei getrost aus der Vokabelliste gestrichen werden, denn er ist ein Oxymoron, ein in sich widersprüchlicher Begriff: Ein Projekt ist das Umgehen mit unvorhersehbaren Phänomenen (rot), Management ist Steuerung mit bekanntem Wissen (blau). Ein Projekt kann also nicht gemanagt werden. Es gilt, totale Marktnähe zuzulassen, die komplette rote Wertschöpfung, die mit dem Können und der Intuition der Mitarbeitenden erreicht wird, beim Kunden in einem (echten) Team abzubilden und nur den blauen Teil (z.B. Buchhaltung, Fuhrparkmanagement, Reisekostenabrechnung etc.) zentral zu organisieren.

Die formale Hierarchie weicht der Legitimation der informellen Führung durch den Könner oder die Könnerin, der vom Team die höchste Problemlösungskompetenz zugetraut wird und der somit in diesem Projekt Gefolgschaft geleistet wird. Das sichert zwar nicht immer und nicht zu 100% Erfolg, ermöglicht aber den erfolgreichen Umgang mit kontingenten Kundenproblemen und komplexen Anforderungen in dynamischen Märkten.

Ist ein solches Projekt erfolgreich und wiederholt sich die Anforderung von Kundenseite, kann es in den Regelbetrieb, also den blauen Teil der Organisation übernommen und mit den nunmehr bekannten Prozessstrukturen verstetigt werden. Damit ist aber nur das Projekt beendet, nicht zwingend aber auch die erfolgreiche neue Businesseinheit, die dann weitere Projekte meistern kann.

Entstehen weitere solche Businesseinheiten, kann sich das Unternehmen zu einem dynamikrobusten Höchstleister entwickeln.

Mehr dazu auch im Artikel „Organisationsentwicklung: Wie lassen sich Organisationen wirksam irritieren?“ Von Mark Poppenborg, intrinsify.de.

Learnings

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Unternehmen gewinnen ihre Existenzberechtigung daraus, dass sie Problemlösungen am Markt leisten, die dem Kunden etwas wert sind.

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Komplexe und überraschende Kundenanforderungen können in der Regel nur abteilungsübergreifend gelöst werden

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In klassischen Strukturen nur mit einem extrem aufwändigen Abstimmungs- und Entscheidungsprozess möglich.

Gemeinsam unternehmerisch denken.

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Ralf Haase

Organisationsdesigner | Netzwerker | Future Leadership Evangelist